Opera Cycle of Revelation

PETER HÜBNER  ·  DIE INSEL DES GLÜCKS

~ Der uralte Sonnenweg unserer Ahnen zu kosmischem Glück ~

nach den Forschungen, Sammlungen und Aufzeichnungen
der Gebrüder Grimm



Die Geschichte des Mannes mit dem goldenen Bart


Ein­mal im Som­mer, als er ge­ra­de al­lei­ne im Gar­ten ar­bei­te­te, war es so heiß, daß er sein Hüt­chen ab­nahm, da­mit die Luft ihm den Kopf küh­le.

Wie nun die Son­ne auf sein Haar schien, da glit­zer­te und blink­te es, daß die fun­keln­den Strah­len in das Schlaf­zim­mer der Kö­nigs­toch­ter fie­len und sie auf­sprang, um zu se­hen, was das wä­re.

Da er­blick­te sie den Jun­gen und rief ihn. „Bring mir ei­nen Blu­men­strauß!“ Er setz­te in al­ler Eile sein Hüt­chen auf, pflück­te wil­de Feld­blu­men und band sie zu­sam­men.

Als er da­mit die Trep­pe hin­auf­stieg, be­geg­ne­te ihm der Gärt­ner und sprach: „Wie kannst du der Kö­nigs­toch­ter ei­nen Strauß von die­sen schlech­ten Blu­men brin­gen? Ge­schwind hole an­de­re, und su­che die schöns­ten und sel­tens­ten aus!“
„Ach nein“, ant­wor­te­te der Jun­ge, „die wil­den Blü­ten rie­chen kräf­ti­ger und wer­den ihr si­cher bes­ser ge­fal­len.“

Als er in ihr Zim­mer trat, sprach die Kö­nigs­toch­ter: „Nimm dein Hüt­chen ab; es ziemt sich nicht, daß du es vor mir auf­be­hältst!“ Er ant­wor­te­te nicht, mach­te aber auch kei­ne An­stal­ten, ih­re Bit­te zu er­fül­len und woll­te wie­der hi­naus­ge­hen. Sie aber griff nach dem Hüt­chen und zog es ab; da fie­len sei­ne gol­de­nen Haa­re auf die Schul­tern hin­ab, daß es präch­tig an­zu­se­hen war.

Er woll­te fort­sprin­gen, aber sie hielt ihn am Arm und gab ihm ei­ne Hand­voll Du­ka­ten.
Er ging da­mit weg, ach­te­te aber des Gel­des nicht, son­dern brach­te es dem Gärt­ner und sprach: „Ich schen­ke es dei­nen Kin­dern, die kön­nen da­mit spie­len.“

Am an­de­ren Tag rief ihm die Kö­nigs­toch­ter aber­mals zu, er sol­le ihr ei­nen Strauß Feld­blu­men brin­gen, und als er da­mit ein­trat, griff sie gleich wie­der nach sei­nem Hüt­chen und woll­te es ihm weg­neh­men; aber er hielt es mit bei­den Hän­den fest.

Sie gab ihm wie­der ei­ne Hand­voll Du­ka­ten; aber er woll­te die­se nicht be­hal­ten und gab sie wie­der dem Gärt­ner als Spiel­zeug für des­sen Kin­der.
Am drit­ten Ta­ge ging es nicht an­ders; sie konn­te ihm sein Hüt­chen nicht weg­neh­men, und er woll­te ihr Gold nicht.

Seit die bei­den Sol­da­ten ih­ren Dienst beim Kö­nig an­ge­tre­ten hat­ten, über­leg­ten sie im­mer, wenn sie so mit ih­rer Kut­sche über die Fel­der fuh­ren, wie sie für ih­ren drit­ten Rei­se­ge­fähr­ten, den sie fast nicht mehr zu Ge­sicht be­ka­men, denn ir­gend et­was Gu­tes tun könn­ten.

Da er­in­ner­ten sie sich an die Er­zäh­lun­gen ih­res Freun­des und faß­ten ei­nen Plan.

Ein­mal gin­gen sie zum Kö­nig: „Er­lauch­ter Kö­nig, die­ser neue Gespan sag­te, wenn Eu­re Ma­je­stät ihn zum Rent­meis­ter ma­chen wür­den, so gin­ge kein Körn­chen Wei­zen un­ter sei­ner Hand ver­lo­ren; denn er ver­stün­de sich so dar­auf, daß, wenn Eu­re Ma­je­stät früh­mor­gens vor den geis­ti­gen Übun­gen ei­nen Sack Gers­te und ei­nen Sack Wei­zen zu­sam­men­schüt­ten lie­ßen, er – bis Eu­re Ma­je­stät mit den Übun­gen fer­tig wä­ren – al­les aus­ein­an­der­le­sen wür­de und daß auch nicht ein ein­zi­ges Körn­chen Wei­zen un­ter der Gers­te blie­be. Dar­um mö­gen Eu­re Ma­je­stät ihn ru­fen las­sen und ihm be­feh­len, daß er dies auch be­wei­se.

Wenn er aber leug­nen soll­te, so glau­ben Eu­re Ma­je­stät ihm nicht, son­dern ver­lan­gen die­se Leis­tung von ihm.“

So­gleich ließ der Kö­nig den Kö­nigs­sohn ru­fen. „Nun, mein Sohn“, sag­te er zu ihm, „ich ha­be ge­hört, daß du ge­sagt ha­ben sollst, du wol­lest Rent­meis­ter wer­den, und kein Körn­chen Wei­zen ge­he un­ter dei­ner Hand ver­lo­ren.

Dar­um wer­de ich in der Frü­he, be­vor ich mei­ne geis­ti­gen Übun­gen be­gin­ne, ei­nen Sack Wei­zen und ei­nen Sack Gers­te vor dich hin­schüt­ten las­sen.

Wenn du sie mir nicht, bis ich mit den Übun­gen fer­tig bin, aus­ge­le­sen hast – und zwar so, daß un­ter dem rei­nen Wei­zen auch nicht ein ein­zi­ges Körn­chen Gers­te bleibt –, so wirst du auf der Stel­le in ei­nen Kä­fig ge­sperrt und al­lem Volk als Auf­schnei­der und Lüg­ner vor­ge­zeigt.
Wenn es dir hin­ge­gen glückt, sie aus­ein­an­der­zu­le­sen, dann ma­che ich dich zum Rent­meis­ter.“

Der Kö­nigs­sohn be­teu­er­te im­mer wie­der ver­ge­bens, daß er das nie auch nur mit ei­nem Wor­te ge­sagt ha­be.
Es nütz­te ihm al­les nichts; sie sperr­ten ihn in ein lee­res Zim­mer ein.

Und als der Kö­nig am frü­hen Mor­gen mit sei­nen Übun­gen be­gann, da schüt­te­ten die Be­diens­te­ten ei­ne Un­men­ge Wei­zen und Gers­te vor dem Jun­gen aus und misch­ten al­les gut zu­sam­men, da­mit er die Kör­ner nun von­ein­an­der schei­de.










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