Opera Cycle of Revelation

PETER HÜBNER  ·  DIE INSEL DES GLÜCKS

~ Der uralte Sonnenweg unserer Ahnen zu kosmischem Glück ~

nach den Forschungen, Sammlungen und Aufzeichnungen
der Gebrüder Grimm



Die Geschichte des Mannes mit dem goldenen Bart


Der Kö­nigs­sohn wag­te gar nicht erst, da­mit an­zu­fan­gen, aber er hät­te ja auch um­sonst an­ge­fan­gen. Selbst wenn er tau­send Ge­hil­fen ge­habt hät­te, so hät­te er die Kör­ner nicht ein­mal in ei­ner Wo­che aus­ein­an­der­le­sen kön­nen – ge­schwei­ge denn in so kur­zer Zeit.

So setz­te er sich in ei­nem Win­kel nie­der, stütz­te sein Haupt auf sei­ne Hän­de und sann.
Und wie er so sann, da flog auf ein­mal ei­ne Wild­tau­be durch das Fens­ter her­ein.

„War­um be­trübst du dich, er­lauch­ter Kö­nigs­sohn?“ „Wie soll ich mich nicht be­trü­ben, wenn doch der Kö­nig ge­sagt hat, daß ich al­le Kör­ner aus­ein­an­der­sor­tie­ren soll, und wenn ich es nicht tue, dann wer­de ich im Kä­fig al­ler Welt als Lüg­ner und Be­trü­ger vor­ge­stellt.“

„Dar­über sollst du wahr­lich kein biß­chen be­trübt sein; wenn es wei­ter nichts ist“, er­wi­der­te die Wild­tau­be.
„Er­kennst du mich nicht? Ich bin der Kö­nig der Wild­tau­ben, mit dem du ein­mal als klei­ner Jun­ge Er­bar­men hat­test; dar­um will ich dir jetzt dei­ne Güte ver­gel­ten.“

Da­mit flog der Wild­tau­ben­kö­nig wie­der von dan­nen. Nach kur­zer Zeit kam er zu­rück mit ei­ner gro­ßen Schar Wild­tau­ben; die stürz­te sich so­fort auf die Kör­ner.

Der Kö­nig war noch nicht mit sei­nen Geis­tes­übun­gen fer­tig, da hat­ten sie al­les aus­ein­an­der­ge­le­sen, daß auch nicht ein Körn­chen Wei­zen zwi­schen der Gers­te blieb – noch Gers­te zwi­schen dem Wei­zen.
So­dann ver­ab­schie­de­te sich der Kö­nig der Wild­tau­ben, und sie flo­gen fort, wie sie ge­kom­men wa­ren.

Als der Kö­nig mit sei­nen mor­gend­li­chen Übun­gen fer­tig war, ging er zu­al­ler­erst mit sei­nen Mi­nis­tern zum Kö­nigs­sohn und frag­te ihn, wie weit er mit dem Wei­zen sei – ob er ihn hät­te aus­le­sen kön­nen oder nicht.

Da blieb so man­cher von ih­nen mit of­fe­nem Mun­de ste­hen, als sie sa­hen, daß der schö­ne, rei­ne Wei­zen dort ab­ge­son­dert auf ei­nem Hau­fen lag, die Gers­te auf ei­nem zwei­ten und die Spreu auch noch auf ei­nem drit­ten.

Der Kö­nig lob­te den Kö­nigs­sohn und mach­te ihn auch so­gleich zum Rent­meis­ter.

Die bei­den Rei­se­ge­fähr­ten des Kö­nigs­soh­nes wa­ren zu­frie­den und glück­lich, daß ihr Freund nun Rent­meis­ter ge­wor­den war – wenn sie auch selbst wei­ter­hin nur Kut­scher blie­ben und ihn nun noch we­ni­ger zu Ge­sich­te be­ka­men.

Wie­der be­gan­nen sie nach­zu­sin­nen, und wie­der tra­ten sie vor den Kö­nig hin.

„Er­lauch­ter Kö­nig, die­ser un­ser Rei­se­ka­me­rad, der neue Rent­meis­ter, hat uns jetzt ge­sagt, wenn Eu­re Ma­je­stät ihm al­le Schät­ze an­ver­trau­ten, da­mit er sie be­wa­che, dann wis­se er sie so zu be­hü­ten, daß auch nicht ei­ne Na­del un­ter sei­nen Hän­den ver­lo­ren­ge­he; denn er ver­ste­he sich dar­auf, daß, wenn Eu­re Ma­je­stät ihn auf die Pro­be stel­len woll­ten und den Ring der Kö­nigs­toch­ter in den Brun­nen wer­fen lie­ßen, be­vor Sie mit Ih­ren Geis­tes­übun­gen be­gin­nen, er ihn wie­der her­aus­ho­len wer­de, bis Eu­re Ma­je­stät mit den Übun­gen fer­tig sind.“

Wie­der ließ der Kö­nig den Kö­nigs­sohn ru­fen.

„Nun, mein Sohn, ich ha­be jetzt ver­nom­men, daß du Schatz­meis­ter wer­den willst, weil du in der La­ge bist, al­le Schät­ze voll­en­det zu hü­ten.
Dar­um wer­de ich den Ring mei­ner Toch­ter in den Brun­nen wer­fen las­sen, be­vor ich mit mei­nen geis­ti­gen Übun­gen be­gin­ne.

Wenn du ihn aber nicht her­aus­holst, bis ich die Übun­gen be­en­det ha­be, dann las­se ich dich in ei­nen Kä­fig sper­ren und dem Vol­ke als Lüg­ner und Auf­schnei­der vor­füh­ren.“

Wie­der nütz­ten al­le ge­gen­tei­li­gen Be­teue­run­gen nichts; der Kö­nig schenk­te ih­nen kei­ne Be­ach­tung, son­dern ließ wirk­lich, be­vor er mit sei­nen geis­ti­gen Übun­gen be­gann, den Gold­ring der Prin­zes­sin in den Brun­nen wer­fen.










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