Opera Cycle of Revelation

PETER HÜBNER  ·  DIE INSEL DES GLÜCKS

~ Der uralte Sonnenweg unserer Ahnen zu kosmischem Glück ~

nach den Forschungen, Sammlungen und Aufzeichnungen
der Gebrüder Grimm



Die Geschichte des Mannes mit dem goldenen Bart


Der klei­ne Kö­nigs­sohn be­gann zu über­le­gen, was er nun tun soll­te.

War­te­te er ab, bis die Mi­nis­ter vom Krieg heim­kehr­ten, und lie­fe er nicht da­von, so wür­de er sich nur ih­re schwe­ren Vor­wür­fe an­hö­ren müs­sen, daß er den Mann he­raus­ge­las­sen ha­be, und man wür­de ihm dann in al­len Ein­zel­hei­ten er­klä­ren, war­um die­ses und je­nes Mi­nis­te­ri­um nun nicht mehr leis­tungs­fä­hig sei wie bis­her, da ja nun da­zu die not­wen­di­gen Gel­der fehl­ten, und so­mit wä­re oh­ne­hin nicht da­mit zu rech­nen, daß er, der Prinz, je Kö­nig wür­de – auch bei der größ­ten An­stren­gung durch die Mi­nis­ter nicht, wel­che selbst na­tür­lich be­reit sei­en, je­des per­sön­li­che Op­fer zu brin­gen; aber was nüt­ze der Ein­satz, wenn die Staats­kas­sen leer wä­ren: nichts, gar nichts.

Und da dem jun­gen Kna­ben an der­lei Über­le­gun­gen nichts ge­le­gen war, ent­schloß er sich, in al­ler Stil­le auf­zu­bre­chen und wo­an­ders in der Welt sein Glück zu ver­su­chen. Er nahm nur sei­nen Bo­gen mit und be­gab sich ohne Ver­zö­ge­rung auf den Weg.

So wan­der­te und wan­der­te der klei­ne Kö­nigs­sohn auf ge­bahn­ten und un­ge­bahn­ten We­gen über Berg und Tal.

Ein­mal er­blick­te er ei­ne Wild­tau­be; ge­schwind nahm er sei­nen Pfeil, spann­te den Bo­gen und woll­te schon los­las­sen.
„Schie­ße bit­te nicht, er­lauch­ter Kö­nigs­sohn“, sprach da die Wild­tau­be, „ich ha­be zwei klei­ne Söh­ne zu Hau­se, die ster­ben vor Hun­ger, wenn ich ih­nen nicht Nah­rung brin­gen kann.“

Der Kö­nigs­sohn hat­te Er­bar­men mit ihr und schoß nicht. „Nun, Kö­nigs­sohn, für dei­ne gu­te Tat er­war­te Gu­tes! Ich wer­de dir‘s ver­gel­ten“, sag­te die Wild­tau­be.
„Du arme Wild­tau­be, wie könn­test du mir das ver­gel­ten?“ frag­te der Kö­nigs­sohn.

„Zwar sagt man, er­lauch­ter Kö­nigs­sohn“, sprach da die Wild­tau­be, „daß Berg und Berg nie­mals zu­sam­men­tref­fen; aber ein le­ben­des We­sen kann wohl mit ei­nem an­de­ren zu­sam­men­tref­fen.“

Der Kö­nigs­sohn freu­te sich dar­über; dann ging er wei­ter.

Wie er so da­hin­schlen­der­te, er­blick­te er auf ein­mal ei­ne Wild­en­te; wie­der­um zog er sei­nen Pfeil her­vor, um auf sie zu schie­ßen.
Doch da sprach die Wild­en­te zu ihm: „Schie­ße nicht, er­lauch­ter Kö­nigs­sohn, ich ha­be zwei klei­ne Söh­ne zu Hau­se; die ster­ben vor Hun­ger, wenn ich ih­nen nicht et­was zu es­sen brin­gen kann.“

Der Kö­nigs­sohn hat­te auch mit der Wild­en­te Er­bar­men und schoß wie­der­um nicht.
„Nun, Kö­nigs­sohn, für dei­ne gu­te Tat er­war­te Gu­tes! Ich wer­de dir‘s noch ver­gel­ten“, sag­te die Wild­en­te.

„Du arme Wild­en­te, wie könn­test du mir das ver­gel­ten?“ frag­te der Kö­nigs­sohn.
„Zwar sagt man, er­lauch­ter Kö­nigs­sohn“, sprach die Wild­en­te, „daß Berg und Berg nie­mals zu­sam­men­tref­fen; aber ein le­ben­des We­sen kann mit ei­nem an­de­ren über­all auf der Welt zu­sam­men­tref­fen.“

Der Kö­nigs­sohn freu­te sich dar­über; dann ging er wei­ter.

Wie er so da­hin­schlen­der­te, da er­blick­te er ei­nen Storch. Auch auf die­sen leg­te er sei­nen Pfeil an.
Doch die­ser be­gann gleich­falls, ihn an­zu­fle­hen: „Schie­ße nicht, er­lauch­ter Kö­nigs­sohn, ich ha­be zwei klei­ne Söh­ne zu Hau­se; die ster­ben Hun­gers, wenn ich ih­nen kein Es­sen brin­gen kann.“










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