Opera Cycle of Revelation

PETER HÜBNER  ·  DIE INSEL DES GLÜCKS

~ Der uralte Sonnenweg unserer Ahnen zu kosmischem Glück ~

nach den Forschungen, Sammlungen und Aufzeichnungen
der Gebrüder Grimm



Die Geschichte des Mannes mit dem goldenen Bart


So ge­riet das gan­ze Reich im­mer mehr in den Sturm der Zeit. Nur der klei­ne Jun­ge ahn­te nichts von al­le­dem; un­ter dem lie­be­vol­len Schirm sei­ner Mut­ter – auch ge­gen­über den Nach­stel­lun­gen der Mi­nis­ter, die ihn ja für ih­re je­wei­li­ge Auf­ga­be zu in­te­res­sie­ren trach­te­ten – wuchs der Kna­be her­an.

Die Mi­nis­ter fühl­ten sich nun im Lau­fe der Zeit zu im­mer grö­ße­ren und dras­ti­sche­ren Sparmaß­nah­men ge­zwun­gen; denn mit dem in­ne­ren Reich­tum der Kö­nigs­herr­schaft schien auch der äu­ße­re Reich­tum des Lan­des zu ver­sie­gen, und sie woll­ten dem spä­te­ren Kö­nig nicht ge­ra­de ein arm­se­li­ges Er­be über­ge­ben.

Auf dem Kö­nigs­hof stand von al­ters her ein Brun­nen, in dem floß statt des Was­sers Milch; aus die­sem Brun­nen konn­te zu al­ten Re­gie­rungs­zei­ten des al­ten Kö­nigs groß und klein so­viel Milch schöp­fen, wie sie brauch­ten, so daß da­mals im Reich nie­mand mehr molk und al­le Milch der Kü­he nur ih­ren Käl­bern zu­gu­te kam.

Jetzt aber, wo der Reich­tum knap­per wur­de, sa­hen sich die Mi­nis­ter ge­zwun­gen, al­le mög­li­chen Geld­quel­len im Rei­che aus­zu­schöp­fen; denn sie wa­ren der Über­zeu­gung, das Wohl­er­ge­hen im Lan­de könn­te nur mit dem nö­ti­gen ma­te­riel­len Auf­wand ge­si­chert wer­den, und die­ser Auf­wand kos­te­te na­tür­lich ent­spre­chen­des Geld – und dies be­son­ders in ei­ner Zeit, in der be­stän­dig al­les Le­ben im­mer teu­rer wur­de.

Des­halb stell­ten sie ei­nes Ta­ges Wa­chen ne­ben dem Brun­nen auf und ga­ben je­dem die Milch nur noch ge­gen ei­ne ge­bühr­li­che Be­zah­lung ab.

So si­cher­ten sie ih­ren not­wen­di­gen Re­gie­rungs­ge­schäf­ten ei­ne ste­ti­ge Ein­nah­me­quel­le – denn die Milch wur­de ja durch die­se Maß­nah­me we­der mehr noch we­ni­ger –, und schließ­lich – so glaub­ten sie je­den­falls fest – kam der Ge­winn doch wie­der al­lem Vol­ke zu­gu­te, wel­ches ja erst un­ter ih­rem Re­gie­rungs­ge­schäft sei­ne vol­le, ge­mein­sa­me Kraft ent­fal­ten konn­te.

Da ge­schah es ein­mal, daß die Wa­chen den Mi­nis­tern die Kun­de über­brach­ten, je­den Mor­gen käme bei Ta­ges­grau­en ein gold­bärti­ger Mann mit ei­nem Ei­mer zum Brun­nen, der den gan­zen Ei­mer voll­schöp­fe und da­mit wie ein Hauch wie­der ver­schwin­de – noch ehe sie sich ihm über­haupt na­hen könn­ten.

Die Mi­nis­ter woll­ten die­ser Re­de zu­erst kei­nen Glau­ben schen­ken. An­dern­tags in der Frü­he stell­ten sie sich je­doch selbst auf die Lauer, und sie wur­den ganz ge­blen­det, als der gold­bärti­ge Mann in sei­nem leuch­ten­den Glanz er­schien. Er füll­te den Ei­mer und ver­schwand da­mit, als ha­be ihn die Er­de ver­schluckt.

Die Mi­nis­ter ver­moch­ten sich gar nicht vor­zu­stel­len, was für ein Mensch das wohl sein könn­te; sie stan­den nur so da, Mün­der und Au­gen of­fen vor Stau­nen.

Doch von da an san­nen sie im­mer mehr dar­über nach, wie sie ihn grei­fen las­sen könn­ten; denn wenn die Sa­che im Reich be­kannt wür­de, dann wür­de auch nie­mand an­de­res mehr zah­len wol­len, und die­se für das gan­ze Land so wich­ti­ge Geld­quel­le wür­de über Nacht ver­sie­gen. Die Fol­gen da­von für je­des ein­zel­ne Mi­nis­te­ri­um woll­ten sich die Mi­nis­ter gar nicht erst vor Au­gen hal­ten. Au­ßer­dem hät­ten sie ja auch zu ger­ne den Mann ge­faßt.

Sie dach­ten dann schon eher da­ran, welch gro­ßen Ruhm es ih­rem Rei­che bräch­te, wenn sie ihn al­ler Welt vor­füh­ren könn­ten; der­glei­chen hat­te doch kein Kö­nig­reich auf dem gan­zen Er­den­rund.

Al­so san­nen sie auf al­ler­lei Schli­che, wie sie ihn fan­gen las­sen könn­ten; aber ver­geb­lich war al­les Sin­nen, ver­ge­bens lie­ßen sie ei­ne Un­men­ge Wa­chen auf­stel­len – sie konn­ten ihn nicht grei­fen.

Wenn sie ihm ganz na­he wa­ren und schon dach­ten, ihn ge­faßt zu ha­ben, ver­schwand er, und nichts war von ihm zu hö­ren und zu se­hen.










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