
PETER HÜBNER · DIE INSEL DES GLÜCKS
~ Der uralte Sonnenweg unserer Ahnen zu kosmischem Glück ~
nach den Forschungen, Sammlungen und Aufzeichnungen
der Gebrüder Grimm
Der Antritt einer abenteuerlichen Reise
Fahrt durch die Kältefelder
der menschlichen Verstandeskräfte
Als sie so eine Weile gefahren waren, verbreitete sich mit einem Mal um sie herum tiefdunkle Nacht; ein kühler Lufthauch wehte sie an. Die Kälte nahm immer mehr zu, je weiter sie fuhren, und schließlich war es Mani, als sollten ihr die Gebeine gefrieren.
Ihre Hände wurden ganz steif, das Ruder entwich beinahe ihren Fingern; sie meinte, der Frost selber hielte in ihr Einzug. Dabei schien das Boot in abgrundtiefe Schluchten zu stürzen.
Auf Manis beunruhigte Fragen erklärte ihr Bruder, dies sei die große Ebene der Kälte, die sie gerade durcheilten; sie müßten aber durch diese Kluft hindurch, um zur Insel zu gelangen; sie solle nur getrost weitersteuern.
Mani steuerte also weiter, fragte jedoch noch ihren Bruder, wo denn diese entsetzliche Kälte eigentlich herrühre.
„Sie stammt von den Menschen, die sich in ihrem ganzen Sinnen und Trachten auf die Erkenntnis und Verwaltung der materiellen Lebenssphäre richten; sie stammt aus ihren Hauchen, welche als Luftströme der Unmenschlichkeit das Weltbewußtsein durchziehen.
Es ist die Gefühlskälte, wie sie den erfrorenen Herzen der gewissenlosen Menschen entströmt.
Steuere jedoch unbesorgt weiter; diese kalten Winde werden von den Schülern des Weisen aus allen Teilen der Welt hierher herbeigerufen und im Prozeß der freien kollektiven Gewissensbildung mit der wärmenden Kraft des allschöpferischen Gefühls belebt, damit die Welt nicht erfriert.“
Nun wurde Mani von einem solch eisigen Hauch grausigster Kälte angeweht, daß ihr angst und bange wurde, und wäre der beruhigende Bruder nicht dagewesen, hätte sie jetzt ganz bestimmt das Ruder sinken lassen und sich dieser ungeheuren, lebenstötenden Kälte überlassen.
Doch die muntere, zuversichtliche Stimme des vertrauten Bruders flößte ihr Mut ein und gab ihr wie durch einen geheimen Zauber auch noch die Kraft, weiterzusteuern.
In einiger Entfernung vernahm Mani Gesänge, und sie fragte ihren Bruder nach deren Bedeutung.
„Das sind die Lieder, mit denen die Schüler des mächtigen Weisen die kalten Wogen der Verstandeskräfte aus allen Teilen der Welt herbeirufen und ihnen Leben einhauchen.“
Doch nun schoben sich plötzlich große Eisschollen vor ihnen her und türmten sich um sie herum zu riesigen Bergen des Frosts auf. Ein undurchdringlicher Wall dieser Eismassen versperrte in der eisigen Kälte dem kleinen Boot plötzlich den Weg.
Mani hielt den Atem an; sie war überzeugt, daß hier die Reise ihr sicheres Ende gefunden hatte.
Aber ihr Bruder beruhigte sie lächelnd: „Das sind die Felsen der festgefahrenen Meinungen, an denen sich unzählige Menschen in der Eiseskälte ihres Verstandes stoßen.
Die Schüler des mächtigen Weisen üben jedoch am gemeinsamen Schmelzen dieser verhärteten Gedankenwelt ihre Fähigkeiten des Herzens.
Hörst du sie in der Ferne singen, und fühlst du die lauen Winde, die sich milde über die Eisfelder ausbreiten?“
Und wahrhaftig verspürte nun auch Mani mit dem feinen Chorreigen, welchen ihnen die Eiswinde zutrugen, in diesen Lüften einen ganz leichten Hauch von milder Wärme hindurch-schimmern; dies gab ihr neue Hoffnung.
Dazu begann Sol jetzt ganz leise eine stille Weise von vollendeter Herzensschönheit gegen die turmhohen Eismassen zu singen, und wie von Zauberhand regiert, schmolzen die Eisfelsen in Strömen dahin und rauschten zu beiden Seiten des Bootes in tosenden Wasserfällen nieder.